J. Emil Sennewald :


 

Paris : Franziska Furter, «Bow Echo» und «Squall lines»

 

  
Franziska Furter · Draft IX and Vlll, 2010, Bleistift auf Papier, 140 x 110 cm. Raumansicht Galerie Schleicher + Lange, Paris


 

Genius nannte man im alten Rom jenen Gott, der jedem Mensch bei seiner Geburt als Beschützer zur Seite tritt. Die Figur lebte weiter, auch durchs Christentum, wurde zum Schutzengel und später zum inspirierenden Geist. Nach Giorgio Agamben verkörpert er sowohl das individuelle Werden wie das kollektive Sein, in das wir immer schon hineingeboren sind. Betrachtet man die neuesten Zeichnungen der seit Kurzem in Berlin lebenden Franziska Furter, tritt ein Genius der Zeichenlinie hervor. Er manifestiert sich in der Materialität des Strichs, der bei Furter intensiv, fast pastos ausfällt, sich bisweilen im Raum als plastisches Objekt konkretisiert. Man könnte Furter der «erweiterten Zeichnung» zuschlagen. Gerade waren auf dem «Salon du dessin contemporain» viele Positionen zu sehen, die das Skulpturale der Zeichenlinie, die Materialität des Papiers oder die performative Dimension des Zeichnens nutzen. Doch Furter entfaltet das gezeichnete Bild auf eine den Strichen und Formen eigene Erzählung hin. «Das Schwarz und diese Linien sind ja dem Bleistift immanent, aber ich zwinge ihm auch ein Objekt, eine Form auf», erklärt sie.
In der Galerie Schleicher+Lange zeigt sie nun neueste Entwicklungen im Schatten der Bleistiftlinien. Da verfangen sich zwei silberne Linien als Wandzeichnung zum Knäuel, stellen grossformatige Zeichnungen Extrakte von Landschaften oder Bewegungen dar und glitzern Glassplitter auf schwarzem Teppichboden. «Ich bin von der Skulptur zur Zeichnung gekommen», erklärt sie, «fand im Zeichnen grössere Freiheit in der Auseinandersetzung mit Form, Figur und Raum.» Und mit Klang: Gab es bisher Bezüge zur Musik über die Titel ihrer Arbeiten, findet man nun die spitzen Peaks von Sounddarstellungen in ihren Zeichnungen wieder. Für ihre Ausstellung im Palais de Tokyo hat sie den gleichen schwarzen Teppichboden verlegt wie in der Galerie. Tritt man darauf, klingt es, als würde man gleich in einem vereisten See einbrechen. Wie das geht, wird hier nicht verraten, nur so viel: Der Glasstaub in der Galerie gibt einen Hinweis. Der Genius in Franziska Furters Zeichnungen will beschützt werden. Durch ihre Arbeit mit dem Dunkel der Bleistiftlinie gibt sie zu verstehen, dass die Erinnerung an Erzählungen, die aus Bildern entspringen, nicht von selbst überleben. Sie wollen gepflegt, wollen gelockt werden, brauchen jemanden, dem sie zur Seite stehen. Vielleicht macht das Furters Zeichnungen so anziehend: Sie erzählen von der Fragilität der Bilder, indem sie ihnen Halt bieten.

Bis: 02.05.2010